„Der Fall Koeppen"
Marcel Reich Ranicki
Preise:
Preis des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie (1961); Förderpreis
der Landeshauptstadt München (1961); Georg-Büchner-Preis (1962); Preis der
Bayrischen Akademie der Schönen Künste (1965); Preis der Dichtung der Stiftung
zur Förderung des Schrifttums (1967); Immermann-Preis (1967);
Andreas-Gryphius-Preis (1971); Förderpreis der Stadt Bergen-Enkheim (=
Stadtschreiber von Bergen-Enkheim) (1974); Hauptstipendium des Europa-Forums für
Literatur in der Friedrich Schiller-Stiftung (1977); Münchner Kulturpreis
(1982); Arno-Schmidt-Preis (1984); Pommerscher Kulturpreis für Kunst (1986);
Ehrendoktorwürde der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald (1990).
(Kultur- oder Kunstteil einer Zeitung)
literarische Anfänge und
Gesamtwerk
„Eine
unglückliche Liebe“ 1934
(Roman)
„Die
Mauer schwankt“ 1935 (Roman)
-
erschien
1939 unter dem Titel „Die Pflicht“ ;erst wieder 1983 mit aktualisiertem
Vorwort erschienen (Fundstelle)
-
1948
erschien ein Roman
-
Autor:
Jakob Littner
-
Titel: „Aufzeichnungen aus einem Erdloch“
-
1992 unter dem Namen des tatsächlichen Autors publiziert
-
Wolfgang Koeppen „Jakob Littner Aufzeichnungen
aus einem Erdloch“
-
Tauben im
Gras“ 1951 (Roman)
-
„Das
Treibhaus“ 1953 (Roman)
-
„Der Tod
in Rom“ 1954 (Roman) ®
(Inhaltsangaben s.hinten)
-(Triologie: beschreibt Nachkriegszeit Westdeutschlands präzise
und komplex)
-
ab
1960:Erfolg mit einigen wenigen außergewöhnlichen Reiseberichten
„Nach
Russland und anders wohin“
„Amerikafahrt“
„Reisen
nach Frankreich“
-
Lesungen
aus entstehenden Romanen, die nie erscheinen:
“Ein Maskenball“,
“In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“(Kleist: „Prinz von
Homburg“)
-
bemerkenswerte Interwiews
-
von der
angekündigten Autobiographie ist der schon früher entstandene Teil
„Jugend“1976 erschienen. Geplanter Titel: “ Nein, nein, nein.“
-
Erinnerungs-Notate
„Er war einmal in Masuren“1991
-
Aufsatzsammlung
„Die elenden Skribenten“ Im Laufe der Jahrzehnte hunderte von Rezensionen
und Interpretationen, Essays
-
Zwei Zitate
zu seiner Position:
-
„Ich bin selbstverständlich auch ein Schriftsteller, wenn ich nicht
schreibe.“
-
„ Wer
etwas zu sagen hat, der trete vor und schweige“ ( hier zitiert Koeppen einen
Satz von Karl Kraus)
Geb.23.06.1906
in Greifswald
Gest.15.03.1996
in München
-
ungewolltes, uneheliches Kind, macht ihn von Anfang an zum Außenseiter
-
Mutter setzt alles daran sozial aufzusteigen, doch sie wird sozial
deklassiert
-
er wächst in Armut in einer geächteten Familie auf
-
er empfindet Sympathie für die anderen Außenseiter der Stadt
-
er
verteidigt sein „gefährdetes ich“ gegen alle von außen herangetragenen
Ansprüche
-
er
entzieht sich den Anforderungen einer militärisch geführten Schule
er beschäftigt sich schon sehr früh mit Literatur. Sie liefert ihm die
Möglichkeit,
sich mit sich selbst zu beschäftigen
-
er
findet in ihr Nahrung für seinem Traum von einem Leben frei von
Diskriminierung und bürgelichen Zwängen
® Affenkönig
(Aus: W.Koeppen: Die elenden Skribenten, Aufsätze;
hrsg. Marcel Reich-Ranicki, Suhrkamp
1981)
-
Auszeichnungen,
z.B.1962 Georg-Büchner-Preis erschrecken ihn eher, als dass sie ihn freuen,
weil sie von seiner Generation, die sich ja immer hinauf Hitler geeinigt
hatten“ verliehen werden
-
Anonymität
war ihm für seine persönliche Existenz wichtig
®
Flucht vor
Erwartung und Beifall
® Büchner Rede
(Aus: W.Koeppen: Die elenden Skribenten, Aufsätze;
hrsg. Marcel Reich-Ranicki, Suhrkamp
1981)
-
seine
intellektuellen Protagonisten
(Philipp „Tauben im Gras“; Keetenheuve „Treibhaus“
und Siegfried Pfaffrath „Tod in Rom“) leben von autobiographischem
Material
=Erfahrungen, des desintegrierten Individiums, sich und anderen fremd
Wolfgang Koeppen:
Autor für sehr wenige, obwohl
schon sein frühes Werk von der Kritik günstig aufgenommen wurde. Erst die
Triologie der 50iger Jahre fand starkes, aber geteiltes Echo.
Þ
insgesamt wenig gelesener Autor
Wolfgang
Koeppen war der bedeutenste Chronist
der westdeutschen Nachkriegsgeschichte.
Er gehört
in die erste Reihe deutscher Autoren.
Er gehört nirgends dazu. Er war kein Nazi. Er gehörte nicht zur intellektuellen Elite der Immigranten, z.B. Brecht, Mann. Auch nicht danach zur Gruppe 47 (Gruppe von Autoren) beschäftigen sich mit äußeren und vorallem inneren Trümmern (Böll, Grass, Borchert)
®
Koeppen war ein Außenseiter. Koeppen gehörte nicht zu den Traditionalisten der
Kriegsheimkehrler, Sinnsucher und Wiederaufbauer.
= Attacke
eines politischen Autors, der der jungen BRD die Wiederkehr der alten Nazis und
die Restauration des alten Geistes vorwirft
Einführungsbeschreibung
aus „Tauben im Gras“ und der Schlussabschnitt geben Auskunft über die Zeit
(„kurz nach der Währungsform“ Vorwort 2. Auflage), die Koeppen beschreibt.
= „
Atempause auf einem verdammten Schlachtfeld“ Bild: Flieger über der Stadt
®
Deutschland lebt auseinandergebrochen im Spannungsfeld zwischen östlicher und
westlicher Welt, die einander feind und fremd sind.
= Spannung,
Konflikt, Verschärfung, Bedrohung vor allem
-
wegen Öl
-
Aufrüstung,
die das Leben verteuert
=
Atomversuche, Atomfabriken
-
Wiederbewaffnung
des westlichen Teils des zerbrochenen Deutschlands wird diskutiert
-
Deutschland
soll nicht neutralisiert werden
-
Das Elend
der Vertriebenen
-
Rückführung
der Millionen Zwangsarbeiter
Koeppens
Roman beinhaltet einen Tag dieser „Atempause auf dem Schlachtfeld“. Hierbei
geht es auch um das Schlachtfeld im Kleinen, um das tägliche, alltägliche
Schlachtfeld auf dem die Vorbereitungen für eine abendliche Party und den
Vortrag eines berühmten Schriftstellers eine Art Rahmen bilden.
Restauration
des „alten Geistes“ zeigt der Schluss des Romans auch formal.
S.235
(Neuer Roman)
„Der
Herausgeber einer Illustrierten fragte mich, warum die Romanschreiber heute
nicht mehr den Satz zustande bringen „Martha schloß das Fenster“. Diese
Frage ist ein für allemal verneint. Würde der Satz noch einmal geschrieben
werden, wäre das Fenster kein Fenster, und Martha wäre Gott weiß wer.“
Aus:
Koeppen: Die elenden Skribenten, Aufsätze; hrsg. Marcel Reich-Ranicki, Suhrkamp
Aus dem Aufsatz: Was ist neu am Neuen Roman?
„Der
Aufbruch wird verhindert.“
®
Sätze wie dieser sind wieder möglich.
„Mitternacht
schlägt es vom Turm.“
„Ein
Kalenderblatt fällt.“
=Martha
schließt wieder das Fenster.
Folgende
Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf den Roman „Treibhaus“
= Portrait
der herrschenden Klasse, die weiß wo es lang geht
= Portrait
des Parlamentarismus als abgekartetes Spiel, bei dem der Sieger fest steht
-Held = SPD Abgeordnete Keetenheuve
= zu empfindsam
= zu schwach
Þ
keine Identifikationsfigur, die, wenn auch auf verlorenem Posten, kämpft
-
Keetenheuve
leidet
- am Schmutz der Politik
- den Bonner Verhältnissen
- an sich selbst
- an einer unglücklichen Liebe
- an den Schreckensbildern, die für ihn deutsche Tüchtigkeit und
deutsche
Todessehnsucht darstellen
- als Intellektueller an der Macht der Fakten
-
Keetenheuve
verachtet
- die Macht, die er wollen muss
- er ist Opfer seiner eigenen machtfernen, besessenen
- Utopie = Glück und Liebe kann es dauerhaft geben
-
beide können
nicht dazugehören
-
sind
beide Außenseiter
-
alle Helden
bei Koeppen sind einsam wie er selbst
-
der unglückliche
liebende Student Friedrich in „Eine unglückliche Liebe“
-
Baumeister
Johannes von Süde in „Die Mauer schwankt“
-
Philipp in
„Tauben im Gras“
-
Keetenheuve
„Treibhaus“
-
Komponist
Siegfried „Pfaffrath“ in „Der Tod in Rom“